Grimme Online Award 2024

Bericht aus der Nominierungskommission des GOA 2024

von Brigitte Baetz

Es war der Nominierungskommission ein großes Vergnügen, sich mit dem Best-of-Internet 2024 zu befassen. Trotz des kurzen Zeitraumes, der in diesem Jahr für Einreichungen zur Verfügung stand, war kein Mangel an Angeboten zu beklagen. Im Gegenteil: Es fehlte weder an Masse noch an Klasse. Nur hätte die Nominierungskommission gerne noch ein wenig mehr lokale Angebote gesichtet.

Die Qualität war durchgängig hoch. Das betraf auch die große Zahl an Podcasts, bei denen die Kommission stärker noch als in vorhergehenden Jahren berücksichtigt hat, ob neben der reinen Audioausspielung auch weitere Möglichkeiten der Internetpublizistik genutzt werden. TikTok-Kanäle sind noch präsenter geworden und es war spannend zu sehen, wie viel Information auch in kurzen Formaten zielgruppengerecht übermittelt werden kann. Vergangenheitsbewältigung ist in vielerlei Hinsicht ein prägendes Thema der GOA-Saison 2024: sowohl was die Zeit des Nationalsozialismus anbelangt als auch die Jahre der DDR oder die Flutkatastrophe von 2021.

So zeigt das Museum Kulturhof in vorbildlicher Weise mit seiner digitalen Ausstellung zur Flutkatastrophe 2021 in Euskirchen, wie das Netz sowohl als Geschichtsarchiv als auch als Ort der Aufarbeitung durch eine Gemeinschaft genutzt werden kann.

Mit ihrem Projekt „Die Treuhand und die Folgen“ hat sich die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur einem Thema gewidmet, das bis heute die Stimmung in Ostdeutschland mitprägt und bislang nicht wirklich bewältigt wurde. Einen Blick noch weiter zurück in die Geschichte des „anderen“ deutschen Staates wirft die „DDR Box“: eine Zeitreise mit Zeitzeugen, moderiert von Jugendlichen. Das Projekt „De-Zentralbild“ zeigt mit privaten Fotos so genannter Vertragsarbeiter und ihren Lebensgeschichten, wie Migration immer auch zur Geschichte der DDR dazugehörte. Gleiches gilt für die Unterdrückung und Reglementierung Andersdenkender, wie die interaktive Website „Andreasstraße digital“ der Gedenk- und Bildungsstätte in Erfurt nachvollziehbar macht.

Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut
Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut

 

Vorbildlich findet die Nominierungskommission auch mehrere Angebote, die sich um die Zeit des Nationalsozialismus drehen. Ungewöhnlich und gleichzeitig einfach ist die Idee, die hinter „#LastSeen“ steckt, einem Bildatlas mit Fotos von Deportationen aus dem Reichsgebiet zwischen 1938 und 1945. In der Unmittelbarkeit ungestellter Bilder wird der Schrecken rassistischer Verfolgungen lebendig. Ähnliches Thema, andere Umsetzung: „Zwangsräume“ erzählt anhand ausgewählter Häuser in Berlin, wie und wo Jüdinnen und Juden vor ihren Deportationen leben mussten. Ein Projekt, das Vorbildcharakter für andere Städte haben könnte. Das mehrsprachige Angebot „Library of Lost Books“ widmet sich auf ganz besondere Weise der Erinnerung an die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums und hält damit ein Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte lebendig. Und in dem digitalen Archiv „Curt Bloch und ‘Het Onderwater-Cabaret‘“ werden die selbstverfassten Satiremagazine des deutsch-jüdischen Geflüchteten präsentiert, die dieser im holländischen Versteck produzierte. Das gezeichnete Storytelling-Projekt „Der Krieg und seine Opfer“ gedenkt wiederum des Vernichtungskrieges Deutschlands gegen die Sowjetunion, der mindestens 14 Millionen Zivilistinnen und Zivilisten das Leben kostete. Mit geringeren Mitteln, aber nicht weniger eindrücklich, klärt der TikTok-Kanal „keine.erinnerungskultur“ junge Leute über die Verbrechen des Nationalsozialismus auf.

Dass die Vergangenheit so vergangen leider nicht ist, dokumentiert das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) mit „Rechtsterrorismus seit dem NSU“ – mehr als eine Datenbank über rechtsextreme Straftaten.

Im Podcast „Frauen von damals“ und ihrem Blog setzt Bianca Walther der Frauenemanzipation des 19. und 20. Jahrhunderts ein Denkmal und beweist, dass auch Einzelpersonen auszeichnungswürdigen Internetcontent erstellen können. Ebenso wie auch die Medienkritik von Nadia Zaboura auf ihrem Instagram-Kanal Usern ans Herz gelegt werden sollte.

Dass das Internet gut zur Partizipation genutzt werden kann, zeigt das Instagram-Projekt „My Hidden History“ von SWR Kultur. Junge Leute präsentieren regionalgeschichtliche Ereignisse, die sie besonders faszinieren. Ebenfalls auf Instagram klärt „Robinga Schnögelrögel“ als „Plantfluencer“ über Natur und Naturschutz auf. Kindgerecht tut das auch der Polar-Podcast „Auf dünnem Eis“ des Technik-Museums Berlin.

Das Datenvisualisierungsprojekt „Die Strömung, die alles verändern kann“ der Süddeutschen Zeitung erklärt wiederum vorbildlich den Einfluss der Atlantischen Umwälzzirkulation (AMOC) und des Golfstroms auf unser Klima. Genauso eindrücklich visualisiert „Europäische Waffen, amerikanische Opfer“ die Recherche des Tagesspiegel und des ZDF Magazin Royale über die deutschen und österreichischen Profiteure des Waffenkults in den USA.

Für die Möglichkeiten, die das Netz zum Empowerment bietet, fand die Nominierungskommission auch in diesem Jahr wieder positive Beispiele. Der Instagram-Kanal „Migratöchter“ des SWR gibt Migrantinnen und ihren ganz speziellen Problemen eine Stimme. Auf seinem TikTok-Kanal „@tahdur“ macht Tahsim Durgun zeitgemäße Comedy über deutsch-migrantischen Alltag, die niemanden schont und nichts beschönigt.

TikTok ist nicht allein Comedy. Der „Fakecheck“ des öffentlich-rechtlichen Netzwerks funk klärt dort über Falschnachrichten auf. Und „eineminutegeld“ des MDR erläutert unterhaltsam und kompetent anhand konkreter Wirtschaftsnews, wie „Geld die Welt regiert“.

Ebenfalls vorbildlich in der Art und Weise der Wissensvermittlung findet die Nominierungskommission „Herzstillstand kann alle treffen, jede Sekunde zählt“ des SWR. Hier wird beispielhaft erläutert, was im Notfall zu tun ist, wer betroffen sein kann und welche Gemeinden schon gut oder eben weniger gut im Hinblick auf die Rettung Betroffener aufgestellt sind.

Gleich zweimal nominiert ist das Portal netzpolitik.org: einmal mit dem Podcast „Systemeinstellungen“ über Menschen, die arglos ins Visier von Staat und Vermittlungsbehörden geraten und zum anderen gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk für die Recherche der so genannten „Databroker Files“, den unkontrollierte Datenhandel der Online-Werbeindustrie.

Und last but not least findet die Nominierungskommission den Impact, den die Recherche von Correctiv zum „Geheimplan Deutschland“ in diesem Jahr hatte, auszeichnungswürdig.

Zum ersten Mal wird im Rahmen des Grimme Online Award auch ein KI-Sonderpreis vergeben. Aus dem Einreichungsfeld hat die Nominierungskommission drei Podcasts des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für besonders erachtet: die Erklärformate „KI-Podcast“ von BR24 und SWR und „KI verstehen“ des Deutschlandfunks, sowie „In 5 Tagen Mord – die Krimi Challenge mit KI“ des BR.