Das Netz bleibt spannend
Nach dem Niedergang der New Economy lässt sich eindeutig sagen: Börsenwelt und Netzwelt haben sich entkoppelt. Das Netz ist nicht implodiert, es lebt weiter - auch jenseits der Frage nach funktionierenden Geschäftsmodellen. Für die Jury des Grimme Online Award 2003 repräsentierten vor allem die Nominierungen bei den Fernseh-Begleitangeboten eine erhebliche Leistungsdichte, massive Diskrepanzen waren hier nicht feststellbar.
Befreit um den Ballast hoher, vielleicht unerfüllbarer Erwartungen scheint es sich im Netz nun sogar etwas leichter zu leben. Von einer Entwicklung des Hypes hieß es jedoch Abschied nehmen: Die großen und opulenten Sites sind Mangelware geworden, Kunst um der Kunst willen spielte in diesem Jahrgang keine Rolle. Anders formuliert: Das große „Wow“ blieb aus.
Stattdessen war eine Reihe nominierter Sites gekennzeichnet von Einzelentwicklungen: Vielversprechend, zukunftsweisend und netzspezifisch zwar, in letzter Konsequenz aber oft nur durch lobenswerte Teilaspekte charakterisiert. Die Jury tat sich schwer, diese Einzelelemente für eine Preisvergabe als ausreichend zu betrachten. Vor allem vor diesem Hintergrund fiel die Entscheidung, auf eine Auszeichnung in der Sparte Web-Media zu verzichten. Erwähnt werden muss jedoch auch, dass in dieser Kategorie nach Feststellung der Jurymitglieder eine erhebliche Grauzone zwischen Journalismus und Auftragsproduktion besteht.
Die Maßstäbe setzten in diesem Jahrgang Angebote der großen öffentlich-rechtlichen Sender sowie kleine Initiativen. Letztere zeigen gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten, was im Netz auch ohne große Budgets möglich ist. Erstere überzeugen durch die konsequent webgerechte und individuelle Umsetzung des jeweiligen Fernsehformats. Eine stärkere Verlinkung nach außen wäre ebenso wünschenswert gewesen wie eine exponiertere Präsentation, etwa mit eigener URL. Das würde die Wertigkeit des Angebots erhöhen, dem Eindruck der Austauschbarkeit entgegenwirken und die Angebote vor der Überfrachtung mit unnötigem Beiwerk schützen. Generell fand die Jury zudem bedauerlich wenig Community-Elemente in den nominierten Angeboten.
Die Auswahl der Preisträger spiegelt die Vielfalt des Netzes. Diese Vielfalt in einen engeren definitorischen Rahmen einzupassen, fiel der Jury nicht immer leicht. Sie musste die Zuordnung der Angebote zu den Wettbewerbskategorien Web-Media und Medienjournalismus sowie deren Grenzen immer wieder diskutieren. Entsprechend fielen nur wenige Preisurteile wirklich klar und eindeutig aus. Neuere Tendenzen im Netz wie etwa Weblogs spielten in diesem Jahr (noch?) keine Rolle, sie wären in den bisherigen Preiskategorien allerdings auch nur schwer unterzubringen.
Das Netz hat sich auf der Grundlage etablierter Standards weiterentwickelt – oftmals reicht die Energie zwar nur für punktuelle Highlights, aber es geht weiter. Intuition, Nachhaltigkeit, Spaß an der Sache und klare Zielgruppendefinitionen setzen sich allemal durch. Für die, die es in diesem Jahr nicht geschafft haben, möge das ein Trost sein. Ihnen bleibt ein Jahr, um sich im aufgezeigten Sinne weiter zu entwickeln. Allen anderen sei gesagt: Das Netz bleibt spannend!
Aus der Jury des Grimme Online Award 2003