Die Zahl der Internet-Nutzer steigt ständig, und mit ihr die Erwartungen an Qualität im Netz. Gleichzeitig verliert die Entwicklung an Geschwindigkeit. Web-TV hat das Versuchsstadium hinter sich gelassen, Kommunikation ist Usus, Dialogfunktionen sind weit verbreitet, multimediale Formate haben sich etabliert, sind technisch immer leichter umzusetzen und werden von den Nutzern – parallel zur Verbreitung von Breitband-Anschlüssen – mit zunehmender Selbstverständlichkeit erwartet. Bewegtbild, Audio, Podcast – alles kalter Kaffee also? Nicht unbedingt, denn auf den Nutzwert kommt es an. Und: Auch Webangebote ohne diese Standards vermögen durch Qualität zu überzeugen.
Auch wenn es die Suche nach herausragenden, preiswürdigen Angeboten mühsamer macht: Dass sich audiovisuelle Darstellungsformen in hoher Qualität im Web konsolidieren, sieht die Jury positiv. Immer mehr Anbieter schöpfen die Möglichkeiten des Mediums aus, private Seitenbetreiber sind hier ganz vorne mit dabei und beweisen, dass sich Inhalte auch ohne nennenswertes Budget webgerecht aufbereiten lassen. Umso enttäuschender fällt ins Auge, wie häufig sich größere Anbieter trotz vorhandener Ressourcen noch immer darauf beschränken, vorhandenes Material im Web zu verwerten, ohne einen echten Mehrwert zu schaffen.
Es gibt Gegenbeispiele. Mit „Intro.de“ zeichnet die Jury ein nachhaltiges Konzept aus, bei dem sich Print- und Online-Ausgabe vorbildlich ergänzen, sich im Portal ein soziales Netzwerk bildet und die Rückkopplung in beide Richtungen funktioniert.
Unumkehrbar ist der Trend zu Plattformen für nutzergenerierte Inhalte. Er trägt dem wachsenden Bedürfnis nach Teilhabe Rechnung, zugleich aber auch dem Interesse kommerzieller Anbieter, mit möglichst geringen Mitteln größtmögliche Reichweite und damit Einnahmen zu erzielen. Angebote, die nach dem „Andere-arbeiten-lassen“- Prinzip konzipiert sind, sollten aus Sicht der Jury ihren Nutzern Mehrwert bieten, der über die reine Aufmerksamkeit hinausgeht – zum Beispiel, indem Creative-Commons- Lizenzen zur weiteren Verwendung der Inhalte zum Einsatz kommen.
Technisch möglich, aber noch viel zu selten, sind Funktionen, die Nutzern erlauben, ihre auf externen Plattformen eingestellten Inhalte flexibel zu archivieren. Im Sinne eines „Anrechts auf Vergessen“ würde sich die Jury wünschen, dass eine vom Nutzer zeitlich skalierbare Löschfunktion zum Service-Standard eines jeden „User-generated-Content“-Angebots gehört.
Im Labyrinth von nutzergeschaffenen Inhalten und Diskussionssträngen bleiben Wegweiser aus Sicht der Jury unverzichtbar. Mit der uneingeschränkten Zugänglichkeit zum Medium mögen Anbieter ihre „Gatekeeper-Funktion“ verloren haben, redaktionelle Filter sind notwendiger denn je, um die Informationsflut zu kanalisieren und Qualität zu gewährleisten. Mit dem „Störungsmelder“ würdigt die Jury die journalistischen Qualitätsmaßstäbe bei der Umsetzung eines gesellschaftspolitisch relevanten Themas, die sich nicht nur in den Beiträgen widerspiegeln, sondern auch in einer versachlichenden Moderation – ein Webangebot, welches Raum schafft für einen Diskurs auf hohem Niveau.
Die Jury sieht in Web-2.0-Funktionalitäten ein zwar wichtiges, nicht aber unabdingbares Element für Angebote von hoher publizistischer Qualität. Mit „zeitzeugengeschichte.de“ haben die Juroren ein Angebot im Web-1.0-Gewand ausgezeichnet, dessen überzeugendes inhaltliches Konzept das Fehlen technischer Standards durchaus wettmachen kann – wenngleich hier zweifellos Potenzial für die Betreiber steckt. Das Angebot „zeitzeugengeschichte.de“ offenbart die Erfahrungen der älteren Generation, einer Generation, die im Web darüber hinaus leider kaum abgebildet wird. Zudem zeigt es, wie sehr das Web zum kollektiven, für jeden verfügbaren Gedächtnis einer Gesellschaft werden kann.
Auch oder gerade im globalen Medium Internet ist weniger manchmal mehr. Der „Literaturport“ zeigt aus Sicht der Jury exemplarisch, dass es sinnvoll sein kann, im Web den Fokus aufs Regionale zu legen. Während großflächig konzipierte Angebote Gefahr laufen, den Erwartungen nicht gerecht zu werden, gedeiht hier ein kleines, aber solides Informationsangebot mit hohem Service-Wert.
Nicht nur die regionale Begrenzung, sondern auch das enge Filtern nach Interessen und Zielgruppen kann die Nutzungsqualität erhöhen. „Hobnox.com“ ist ein Web-TVAngebot, in dem Inhalte Platz finden, die eine erfreuliche Nischenfunktion offerieren und dem Nutzer direkt Werkzeuge zum Mitmachen zur Verfügung stellen. Durch den redaktionellen Filter erlebt der Nutzer Unterhaltung und Information auf hohem Niveau. Ob indes die Community-Funktion eines solchen Angebotes eingelöst werden kann, ist bislang noch Zukunftshoffnung.
96 Prozent der 14- bis 19-Jährigen sind online und brauchen altersgemäße Räume im Netz, in denen sie Unterstützung bei der Entwicklung von Medienkompetenz finden. Bereits die Nominierungskommission hatte die Aufmerksamkeit auf Webangebote von und für Kinder gelenkt. Die Jury sieht hier einige gute Ideen, vermisst aber deren konsequente Entwicklung. Den Machern der „kids-hotline“ gelingt es, ein herkömmliches Service-Angebot ins Netz zu übertragen und dabei die Vorteile des Mediums konsequent für eine Flexibilisierung des Beratungsangebotes zu nutzen.
Eine Herausforderung, die sich vor allem öffentlich-rechtlichen Anbietern zunehmend stellt, ist die nutzerfreundliche Aufbereitung von Inhaltsarchiven. Sie gelingt mal mehr, mal weniger gut: Mitunter lassen sich wertvolle Inhalte nur umständlich erschließen und werden wenig suchmaschinentauglich und somit schwer auffindbar in abgeschlossene Systeme gesperrt. In der „WDR MEDIATHEK regional“ sieht die Jury hervorragende Lösungsansätze, um den Nutzern mehrere Zugangswege zum Content zu ebnen.
Ein Defizit gibt es nach wie vor an Web- Reportagen und nutzerfreundlich umgesetzten Bildungs- und Lernangeboten, die neben audiovisuellen Eindrücken auch umfassend Information und Wissen vermitteln. Die Jury würde sich zudem wünschen, dass sich Web-Angebote noch stärker an der Ordnung des Nutzers orientieren und nicht nach den eigenen strukturellen Kriterien des jeweiligen Anbieters, dass Angebote nicht nur eine ansprechende Oberfläche haben, sondern Gestaltung in jeder Hinsicht sorgsam ausgeführt wird. Sorgsam heißt, dass jedem Nutzer deutlich wird: Was kann ich wie finden? Der Nutzer soll Orientierung und Führung durch intelligente Informationsarchitekturen angeboten bekommen. Es zeigt sich, dass die Regeln zwar längst formuliert und bekannt sind, aber die Erfahrung und damit die Übertragung auf die praktische Umsetzung gerne noch reifen darf.