Im achten Jahr des Grimme Online Award, nach dem Sichten hunderter Online-Angebote in Text, Bild und Ton, kann die Nominierungskommission vermelden: Das Entdecken qualitativ hochwertiger, innovativer Angebote im Web ist nicht leichter geworden. Oftmals haben sich immerhin Standards bei Technik und Präsentation durchgesetzt, die viele Anbieter erreichen. Und viele Online-Angebote bewegen sich inzwischen auf einem Level, der vor einigen Jahren noch als auszeichnungswürdig diskutiert worden wäre. Selbst für einzelne Personen ist es schon lange keine technische Herausforderung mehr, kontinuierlich Inhalte im Netz zu publizieren, sogar mit bewegten Bildern - die Werkzeuge dafür sind vorhanden. Für die Nominierungen waren wir auf der Suche nach den Angeboten, die aus diesem Durchschnitt herausragen. Besonders spannende Entwicklungen gab es dabei vor allem auf zwei Gebieten zu beobachten: Online-Video und Nutzerbeteiligung.
Wer lediglich Bewertungssternchen aus dem Web-2.0-Baukasten auf bestehende Inhalte montiert und Kommentarfelder anschraubt, darf sich allein davon allerdings keine neue Qualität der Nutzerbeteiligung erhoffen. Mühe und durchdachte Konzepte sind erforderlich, werden aber von den Nutzern entsprechend belohnt: Im Bereich Zeitgeschichte zeigen große Onlinemedien ("einestages") wie kleinere Projekte ("zeitzeugengeschichte.de"), wie sehr sich das Internet auch als Medium der Erinnerung eignet, zum Festhalten von Biografien, zum Sammeln von Dokumenten der kleinen und großen Geschichte und zum Austausch darüber. Auch andere nominierte Angebote setzen in vielfältiger Weise auf Beteiligung. Netznutzer werden zur Fortsetzung von Feuilleton-Debatten über Literatur in den elektronischen Salon eingeladen ("F.A.Z. Lesesaal"); Jugendmedienprojekte schaffen eine Plattform für selbstgedrehte Videos von Jugendlichen und vernetzen sich europaweit ("ROOTS&ROUTES TV"); Kindernachrichten-Programme geben ihre Zuschauern Tipps für eigene Beiträge ("neuneinhalb"); Schulklassen stellen ihren Heimatort im Netz vor ("Kinder-Reiseführer"). So sind wir auch für die kommenden Jahre gespannt auf weitere Angebote, bei denen die Nutzer nicht bloß Publikum bleiben.
Erstmals hatte die Kommission in diesem Jahr die Möglichkeit, in der Kategorie Spezial Angebote zu nominieren, die innovativ und herausragend sind, aber nicht recht in eine der anderen drei thematischen Schubladen passen. Dazu zählt ein öffentlich-rechtliches Online-Videoangebot, das früh gestartet ist und konsequent weiterentwickelt wurde: Die ZDFmediathek stellt bis heute die Messlatte dafür dar, wie TV-Programme dem Nutzer Inhalte über die Sendung hinaus on demand anbieten können. Wie Video-Inhalte und -Navigation passgenau auf das Netz zugeschnitten werden können, lässt sich auf der ebenfalls nominierten Plattform "Hobnox.com" beobachten, die eigene Video-Formate und Videos der Nutzer zusammenbringt. Obwohl sich das Angebot noch in der Beta-Phase befindet, bestätigt es schon jetzt die Ahnung, dass bei Bewegtbild im Netz bislang lediglich ein Bruchteil der kreativen und technischen Möglichkeiten ausgenutzt worden ist. In der Kategorie Spezial ist auch eine persönliche Website als publizistische Einzelleistung nominiert, die auf völlig andere Weise Potenziale des Internets auslotet: Sandra Schadek schreibt über ihr Leben mit einer fortschreitenden Krankheit des motorischen Nervensystems - konkret: Amyotrophe Lateralsklerose. Sie gewährt einen reflektierten Einblick, ohne journalistische Mittler, dafür mit Rückkanal; das Ergebnis ist exemplarisch.
Die Entwicklung im Bereich Online-Video stellt die vor kurzem noch neue Form der Weblogs derzeit in den Schatten: Innerhalb und außerhalb der professionellen Medien wird viel Kreativität auf neue Bewegtbild-Formate verwendet. Dass Blogs im kontinuierlichen Beobachten eine ihrer Stärken haben, zeigen zwei in diesem Jahr nominierte Angebote, die sich mit Politik in Zeiten der Informationsgesellschaft ("netzpolitik.org") und dem Umgang mit Neonazis ("Störungsmelder") beschäftigen.
Kreativ und gelungen sind auch einige neuere Versuche von Verlagen, im Netz neue Präsentationsformen einzusetzen. Ein Beispiel unter den Nominierungen: Dass fragwürdige Firmen und Personen auf dem grauen Kapitalmarkt regelrechte Netzwerke bilden, ist nicht neu. Im Internet können aber interaktive Grafiken und eine kontinuierliche Beobachtung dazu beitragen, die komplexen Querverbindungen durchschaubarer zu machen ("graumarktinfo.de"). Ein anderes Angebot zeigt, wie sich die GEO-Expedition zu einem Korallenriff als netzgerechte Multimedia-Reportage umsetzen lässt. Dagegen bleibt es überaus fragwürdig, wenn mitunter publizistische Inhalte und Werbe-Inhalte – so gesehen bei "einestages" - nicht sauber getrennt werden oder bei anderen Anbietern das Verhältnis zu erwähnten "Partnern" nebulös bleibt.
Bei all den schon erwähnten kreativen Möglichkeiten des Internets ist es enttäuschend, dass die Zahl der qualitativ hochwertigen Angebote für Kinder kaum zu wachsen scheint. Während Unternehmen aus den verschiedenen Branchen – gewiss auch zur Markenbindung – auf spezielle Kinderangebote setzen, versäumen es bislang gerade viele Medienhäuser, die Zielgruppe Kinder adäquat anzusprechen. Auch unter den neueren Angeboten sind leider weiterhin viele, die vor allem aus dem Blickwinkel von Erwachsenen konzipiert und gestaltet worden sind. Nutzerorientierung und Usability sind aber Probleme, die nicht auf Websites für Kinder beschränkt sind. Viele Anbieter verwenden nicht genügend Mühe darauf, ihre Inhalte intelligent zu erschließen und nach Nutzerbedürfnissen zu strukturieren.
Die Untersuchung und Bewertung hunderter Websites hat jedoch gezeigt, dass ein sehr hohes Ideen- und Entwicklungspotenzial im Netz vorhanden ist. Es gilt auch weiterhin: Gute Ideen brauchen spannende Inhalte und eine Technik, die die Idee erfolgreich transportiert - nicht umgekehrt. Bestehende Usabilitystandards können dabei ebenso helfen, wie eine Portion Mut, sich von bestehenden Rezeptionsschemata zu lösen und Neues auszuprobieren. Dann wird es auch im nächsten Jahr spannende Entwicklungen zu beobachten und überraschende Neuerungen geben.