Auch in diesem Jahr durfte die Jury des Grimme Online Award wieder aus dem Vollen schöpfen. 28 Nominierungen waren zu sichten, allesamt eindrucksvoll, ausgereift und preiswürdig.
Besonders reichhaltig war das Angebot in der Kategorie Information. Hier schlagen sich aktuelle Brennpunktthemen nieder wie die Flüchtlingskrise, mit Nominierungen wie dem hervorragenden Webspecial der Schweizer Rundfunkanstalt SRF "Sandalen im Schnee", oder wie die Überwachungsaffäre, mit dem nominierten, ebenso kenntnis- wie voraussetzungsreichen Podcast "Technische Aufklärung" zum NSA-Untersuchungsausschuss. Preiswürdig fand die Jury letztlich den Twitter-Account "Straßengezwitscher", der Partei ergreifend, aber sachlich über aktuelle rechtsradikale und fremdenfeindliche Aktivitäten im Osten Deutschlands informiert, sowie das Onlinemagazin "dekoder – Russland entschlüsseln", das mit der Übersetzung und erläuternden Kuratierung russischer Medienbeiträge auf hohem Niveau dazu beiträgt, eine echte Aufmerksamkeits- und Wissenslücke in der hiesigen Öffentlichkeit zu schließen.
In der Kategorie Kultur und Unterhaltung gab es insgesamt weniger Nominierungen, aber deshalb nicht weniger harte Konkurrenz, und die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen. Insbesondere der nominierte Twitter-Account "@schafzwitschern" war für einige Jurymitglieder ein echter "Kandidat der Herzen". Letztlich haben wir uns für drei Preisträger entschieden: Das Multimedia-Special "Trappeto-Solingen-Trappeto … und zurück" greift von der Gegenwart in die europäische Nachkriegsgeschichte zurück, um vielschichtig über Migration, Integration und Heimat zu erzählen. Das "makellosmag – die blog (fem.)" ist ein mit viel Witz und Leidenschaft gepflegtes Blog, in dem Feminismus und Leichtigkeit bestens zueinander passen. Und das breit angelegte Webarchiv "DADA-DATA" schließlich führt uns spielerisch mitten in eine immer wieder aktuelle Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts hinein.
Wenn einzelne Personen oder Teams sich besonders um die Erneuerung ihres publizistischen Arbeitsfeldes verdient machen, wenn sie klug und mutig Barrieren überwinden und neue Standards setzen, so verdient das unsere Aufmerksamkeit und unseren besonderen Respekt. Für diese Art von Leistungen hat der Grimme Online Award Platz in seiner Kategorie Spezial. Hier stach besonders das Interaktiv-Team der "Berliner Morgenpost" hervor, das kontinuierlich und auf hohem Niveau interessante Geschichten mit den Mitteln der Statistik und einer geschickten Datenvisualisierung erzählt. Nicht nur die Produkte dieses Teams erschienen uns preiswürdig, auch die Art und Weise, wie es ihm ganz zwanglos gelingt, eine neue, zeitgemäße Darstellungsform in den klassischen Lokaljournalismus des Muttermediums zu integrieren.
Den zweiten Award in dieser Kategorie bekommt eine Grenzgängerin: die Künstlerin Barbara., die anonym witzige, erhellende Botschaften in den (realen) öffentlichen Raum klebt, dies auf Facebook dokumentiert und zur Diskussion stellt. Sie ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass die sogenannte "virtuelle" und die reale Welt nicht sinnvoll zu trennen sind – besonders dann nicht, wenn die Online-Medien uns einen besseren Blick auf das ermöglichen, was um uns herum geschieht und uns sonst vielleicht verborgen geblieben wäre.
Auch Jan Böhmermann, der für seine persönliche Leistung und somit für seine Verdienste um die Überwindung der Grenzen von Fernsehen und Internet nominiert war, soll hier erwähnt werden. In den Diskussionen der Jury wurde seine Integrationsleistung noch einmal hervorgehoben, aber eher als ein Fortschritt aus Sicht der klassischen elektronischen Medien eingeordnet. Insofern begrüßen wir ausdrücklich die besondere Würdigung, die er im Rahmen der Verleihung des Grimme-Preises für seine Verdienste um die Zukunft des Fernsehens erhalten hat.
Ein breites Feld mit hervorragenden Nominierungen gab es auch im Bereich Wissen und Bildung , wie der Podcast "Staatsbürgerkunde", der sich über die Jahre zu einem phantastischen Steinbruch von Geschichten über den Alltag in der DDR entwickelt hat, oder das Blog "Opas Krieg", in dem ein Enkel in "versetzter Echtzeit" den Ersten Weltkrieg aus den Feldpostkarten seines Großvaters rekonstruiert.
Durchgesetzt hat sich letztlich ein wissenschaftsjournalistischer Beitrag, der uns alle beeindruckt und bezaubert hat: Mit seinem Special zur "Klangökologie" bringt Andreas von Bubnoff wirklich erstaunliche "Symphonien der Natur" zu Gehör und nutzt sehr geschickt Klangvisualisierungen und Text, um die besondere Bedeutung einer in diesem Zusammenhang oft vernachlässigten Sinnesmodalität hervorzuheben.
Es gibt so viele Dimensionen, nach denen sich das Feld der Einreichungen bei einem Preis wie dem Grimme Online Award ordnen lässt: Kleine vs. große Produktionen, Einzelleistungen vs. Teamplay, ernsthafte vs. unterhaltsame Inhalte, kurzfristige Projekte vs. dauerhafte Formate... Es kann nicht die vorrangige Aufgabe der Nominierungskommission und der Jury bei ihrer Auswahl sein, hier für eine perfekte Balance zu sorgen. Wenn es trotzdem gelingt, darf man sich freuen: Unter den Preisträgern sind kleine und größere Projekte, Einzelleistungen und Teamwork, eher ernsthafte und eher unterhaltsame Inhalte, sowohl einmalige als auch langfristig angelegte Formate.
Bei aller Freude, die uns die Juryarbeit gemacht hat, wollen wir nicht vergessen, dass der Triumph der einen oft die Enttäuschung der anderen bedeutet. Deshalb sei hier noch einmal betont: Die Qualität der Angebote auf der Shortlist, die uns die Nominierungskommission übermittelt hat, war hervorragend. Unsere Hochachtung und unsere Glückwünsche gelten somit natürlich besonders den Preisträgern, sie schließen aber auch alle Nominierten mit ein.