Das nennt man wohl ein Luxusproblem: aus einer Menge hochwertiger Angebote die Besten heraussuchen zu dürfen. Sowohl die Dichte aus inhaltlich wie formal gelungenen Onlineauftritten war hoch, als auch in besonderem Maß die Vielfalt an netzspezifischen Formaten: Vom Podcast über den Twitter-Account, das gute alte Blog, die inzwischen ausgereifte und weit verbreitete Multimedia-Reportage bis hin zum Meme aus der Kohlenstoffwelt war die Konkurrenz groß und leistungsstark. Und ein Moderator ohne Prime-Time-Platzierung wurde erst durch seine nahtlos verzahnte Online-Präsenz, die wir für nominierungswürdig halten, zunächst zum Thementreiber –und dann auch zum Thema und Getriebenen.
Es hat also seinen guten Grund, dass wir das Kontingent von 28 möglichen Nominierungen vollständig ausgeschöpft haben. Der Konkurrenzkampf um die Plätze wäre sogar noch härter ausgefallen, hätten die Tücken der Technik nicht so manchem vor allem thematisch und journalistisch eigentlich nominierungsfähigen Angebot auf den letzten Metern noch den Zieleinlauf vermasselt. Es ist jedoch nach Überzeugung der Nominierungskommission nicht möglich, heutzutage Internetangebote auszuzeichnen, wenn beispielsweise Videos nicht abspielbar sind, die Darstellung und/oder Nutzerführung mobile Geräte mit Touchscreen ignoriert oder lange Ladezeiten zum parallelen Kuchenbacken einladen – mögen die Angebote auch sonst noch so gut durchdacht oder publizistisch wichtig sein.
Apropos publizistisch, kommen wir zur Sache: Natürlich hat sich das "Thema des Jahres" – Flucht und Migration – in den eingereichten Angeboten niedergeschlagen. Jedoch vermissten wir neben den vielfältigen und wichtigen Berichten über Fliehen und Ankommen und den zahlreichen Hilfsangeboten für Flüchtlinge online-spezifisch aufbereitete Angebote über Hintergründe, über Fluchtursachen und politische wie wirtschaftliche Zusammenhänge. Gerade die aktuellen Entwicklungen, die unterschiedlichen Akteure und ihre zum Teil verdeckten Interessen hätten einen Teil der publizistischen Energie nötig.
Das Netz zeigte in diesem Jahr seine Stärken auch im unmittelbaren Zugang zu Einzelschicksalen, über die die Hintergründe aus sehr persönlicher und damit subjektiver Perspektive und in Blitzlichtern beleuchtet werden.
Es braucht kein bedeutendes Medienhaus im Rücken, um auszeichnungsfähige Publizistik im Internet zu betreiben. Deshalb haben in diesem Jahr neben Verlagshäusern und Medienprofis auch wieder viele "Privatinitiativen" Nominierungswürden erreicht – und das auf ganz unterschiedlichen Kanälen: Wir entdeckten meinungsstark Bloggende, die nicht auf Empörung, sondern auf Argumente und Reflektion setzen, die engagiert ihr Thema verfolgen und ihm ihre persönliche Note geben. Wir hörten Menschen, die das Potenzial von Podcasts ausschöpfen, vielleicht gerade weil sie nicht "Radio denken". Und wir haben Twitter-Accounts entdeckt, denen es gelingt, Nischen zu füllen: Sie nehmen ihre Follower in unbekannte Alltagswelten mit oder dokumentieren, was andernfalls unbeobachtet bliebe.
Stark angewachsen ist in diesem Jahr das unabhängige, digitale Dokumentieren bei den brisanten Themen unserer Zeit in oder nahezu in Echtzeit. Das Internet wird nicht nur zur Information, sondern auch und zur Zeit verstärkt zur Desinformation genutzt – gerade darum ist die Auseinandersetzung und Aufklärung wiederum im Netz wichtig: schnell und jederzeit verfügbar und aus verlässlicher Quelle, deren Vertrauenswürdigkeit sich manchmal genau daraus speist, kein Verlagshaus, keine Partei und kein Digital-Promi zu sein.
Aber es waren nicht nur die ernsten Themen, die begeisterten: Ganz besonders gefreut hat sich die Nominierungskommission auch darüber, dass unterhaltende Angebote im Netz ihren Platz haben. Wenn sie dabei noch Wissen vermitteln – oder wissensvermittelnde Angebote auch unterhaltend sind – umso besser.
Derweil haben die Online-Redaktionen der Verlage, einst eher als zweitverwertender Ableger der Print-Redaktion konstruiert, ihre Möglichkeiten stark ausgebaut und können nun oftmals guten Text- und Foto-Inhalt anreichern und erweitern: Multimedia-Geschichten werden mit der frei verfügbaren Produktions-Software Pageflow (Grimme Online Award 2014) inzwischen auch von Lokalredaktionen gekonnt genutzt. Interaktive Diagramme und um Daten oder Überlagerungen angereicherte Fotos sind nicht mehr nur Teil von zahlengetriebenem Journalismus, sondern hier und da schon Alltag geworden. Ein guter Moment, die Besten darunter zu nominieren.
Herausragendes Publizieren ist manchmal auch einfach Kunst. Als verspielte App, als Playlist mit Animationsvideos und Bildungsauftrag oder wenn Street-Art mit Haltung zum Meme-Fixstern wird. Gerade in bewegten Zeiten.
Danke allen Nominierten (und denen, die auf den weiteren Plätzen folgen) für so viel Gutes in der Netzwelt.