Das Netz ist kommunikativer Alltag geworden: Ganz gleich, ob es um aktuelle Informationen, Bildungsangebote, die digitale Aufbereitung kultureller Highlights oder gut gemachte Unterhaltung geht – das Web bedient alle Themeninteressen. Das zeigte sich der Jury erneut durch die Bandbreite der diesjährigen Nominierungen. Bei der Auswahl der Preisträger wurde aber auch deutlich: Publizistische Online-Angebote befinden sich aktuell in einer Phase der Konsolidierung. Die Zeit der Experimente scheint vorbei, Standards in Aufbereitung und im Storytelling für digitale Formate haben sich etabliert. Während zuletzt neue Formate wie 360-Grad-Videos und Virtual Reality Innovationsimpulse lieferten, setzt sich aktuell der Inhalt gegenüber einem multimedialen Overkill durch. Es ergibt sich der Eindruck, dass das Netz sich wiederholende Wellenbewegungen zwischen Innovation und Standardisierung erlebt, die auch bei den Nominierungen spürbar werden.
Wie man sich als öffentlich-rechtlicher Sender der längst etablierten, publizistisch aber noch lange nicht erschlossenen Plattform Instagram zeitgemäß nähern kann, zeigt das WDR-Angebot „Mädelsabende“. Kanaladäquat werden die Möglichkeiten der Plattform redaktionell umgesetzt. Hier präsentiert sich kein sozial-medialer Appendix eines Rundfunkformats, sondern eine eigenständige, publizistische Leistung. Angesichts der heutigen Relevanz von Instagram ein auszeichnungswürdiger Ansatz. Dass die Macherinnen überdies das reichweitenstarke Story-Format kreativ und zielgruppengerecht bespielen, sollte anderen Anbietern aufzeigen, dass Instagram eine erwachsen gewordene Plattform auch für publizistische Angebote ist. Auffällig war die hohe Zahl der Nominierungen, die ihre Heimat beim Jugendangebot von ARD und ZDF namens „funk“ haben. Das übergreifende Konzept, Inhalte für die Zielgruppe von 14 bis 29 Jahren auf allen verfügbaren Kanälen auszuspielen, kommt gut an und sorgt für Reichweite. Es bietet vor allem Raum für neue Konzepte und eigenständige Formate. Wie gut das funktionieren kann, zeigt der YouTube-Kanal „maiLab“, auf dem Mai Thi Nguyen-Kim verständlich und unterhaltsam wissenschaftliche Zusammenhänge mit Verve erläutert.
Nicht nur bei Formaten, auch bei journalistischen Geschäftsmodellen bietet das Netz Raum für neue Ansätze. Die Nominierungen für „Crowdspondent“, „Übermedien“ und „RiffReporter“ zeigen, wie unterschiedlich sich Journalismus im Netz zahlenden Zielgruppen präsentieren kann. Wissenschaftliche Themen, online aufbereitet in Form einer journalistischen Genossenschaft, bei der Nutzer Mitglieder werden können, zeichnen den vielversprechenden Ansatz der „RiffReporter“ aus und das verdient nach Meinung der Jury einen Preis – auch, um ein mutmachendes Signal für andere Angebote zu geben.
Mut macht auch der Nachwuchs: Der 37. Abschlussjahrgang der Henri-Nannen-Schule hat journalistische Tugenden und zeitgemäße Aufbereitungsformen auf einen Nenner gebracht. „Ein deutsches Dorf“ bietet eine lesenswerte Kombination aus Scrollytelling, klassischem Feature und Videojournalismus. Mit wohltuender Leichtigkeit wird einem das Leben in einer Dorfgemeinschaft nähergebracht, ohne dass sich die Autoren über ihre Protagonisten erheben würden. Auch hier gilt: Zurückhaltung bei der Multimedialität zugunsten des eigentlichen Inhalts und des preiswürdigen redaktionellen Konzepts.
Einzelinitiativen, ganz gleich, ob durch „echte“ Einzelkämpfer oder durch kleine Teams in größeren Strukturen wie Verlagen, Sendern oder dem „funk“-Verbund umgesetzt, verdienen Anerkennung dafür, den verfügbaren Freiraum intelligent für preiswürdige Angebote zu nutzen und sich manchmal auch gegen Widerstände durchzusetzen. Idee, Darstellungsform oder Engagement sind hier Kriterien, die die Jury bewogen haben, einen Preis zu vergeben. Das gilt gerade für das Angebot „Sommers Weltliteratur to go“. Mit Liebe zum Detail und großem Playmobil-Ensemble erklärt der Dramaturg Michael Sommer sehr kreativ Klassiker der Weltliteratur auf seinem YouTube-Kanal – da können nicht nur Abiturienten im Klausurenstress etwas lernen. Gleiches gilt für „Bewegte Jahre. Auf den Spuren der Visionäre“. Das Projektteam des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg bereitet in seinem Webspecial den Themenkomplex „Jugendstil“ multimedial, gestalterisch gelungen und sogar barrierefrei auf – eine preiswürdige Teamleistung.
In unseren aktuell bewegten Zeiten sind Inklusion und das Ringen um einen gesellschaftlichen Konsens Themen, die im Mittelpunkt vieler Kontroversen stehen, die auch im Netz stattfinden. Der geeignete Ort beim Grimme Online Award für entsprechende Projekte, Initiativen und Personen ist die Kategorie Spezial: „Zeit Online“ hat mit „Deutschland spricht“ datenbasiert einander unbekannte und ungleiche Paare identifiziert und für einen Diskurs vor der letzten Bundestagswahl zusammengebracht. Die resultierenden Begegnungen wurden journalistisch aufbereitet und setzen einen wichtigen Kontrapunkt zu den teils erbittert geführten Debatten im Netz, der den Beteiligten neue Erkenntnisse zum Meinungsgegenüber offenbarte. Für den Aktivisten Raul Krauthausen ist der Diskurs um sein Anliegen – eine umfängliche gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung – der Alltag und er setzt das Netz für seine Arbeit seit vielen Jahren auf vielfältige Weise erfolgreich ein. Facebook, Twitter und Blogs transportieren seine Botschaft und bilden quasi seine kommunikative Heimat. Die Jury ist der Meinung, dass diese gekonnte Nutzung des Internets für sein Engagement einen Preis verdient.
Die inhaltliche und konzeptionelle Vielfalt bei den Preisträgern sollte über eines nicht hinwegtäuschen: In Sachen Crossmedialität scheint sich im Netz aktuell nicht viel zu tun. Man möchte fast Steve Jobs berühmte Rede vor Studenten der Uni Stanford zitieren: „Stay hungry, stay foolish“. Für die kommenden Jahre wünscht sich die Jury, dass wieder mehr Anlass besteht, interaktive und mit den crossmedialen Möglichkeiten des Webs spielende Angebote auszeichnen zu können.