Heute wurden die Nominierungen für den Grimme Online Award bekanntgegeben: 28 Netzangebote – aus rund 800 Einreichungen - haben es in die handverlesene Auswahl geschafft. Präsentiert und diskutiert wurde sie erneut im Rahmen der Kölner c/o pop Convention, Medienjournalist Christoph Sterz (u.a. dradio/mediasres) übernahm die Moderation.
Beeindruckt zeigte sich die Nominierungskommission in diesem Jahr von der enormen „Vielfalt der Darstellungsformen: von der App über Scrollytellings, interaktive Angebote und Podcasts bis zu Social-Media-Formaten.“ Die inhaltliche Bandbreite reiche „von den Protesten im Iran, dem Krieg gegen die Ukraine bis hin zum Klimawandel und ihren Auswirkungen, zum Beispiel der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und NRW“, heißt es im Statement. Aber auch historisch relevante Themen kämen nicht zu kurz, wie „etwa Zeitzeugenberichte aus der Epoche des Nationalsozialismus oder die Aufarbeitung der Schicksale von Heimkindern in der DDR“, so die Nominierungskommission. Zudem sei erfreulich, dass „fernab von Publikationen durch die Big Player der Branche vor allem auch gute, kreative und innovative Arbeiten von kleineren Medienunternehmen und unabhängigen Medienschaffenden sichtbar wurden“, heißt es im Statement weiter.
„Die Nominierten 2023 bestechen durch ihre Bandbreite an Themen, durch innovative Umsetzungen und kreative Darstellungsweisen“, so Grimme-Direktorin Dr. Frauke Gerlach. Besonders überzeugend findet sie: „Sie kratzen nicht nur an der Oberfläche, sondern gehen den Dingen auf den Grund“ und bewiesen mit beeindruckenden Rechercheleistungen und interaktiven Formaten, wie guter Journalismus im Netz funktioniere. Die nominierten Angebote bilden aber nicht nur die großen Themen des vergangenen Jahres ab, so Gerlach, sondern bemühten sich ebenfalls um eher nischige Inhalte. Alles in allem für sie: „Ein hochklassiges Nominierungsjahr, dessen Inhalte informieren, aufwühlen, manchmal zum Lachen bringen oder auch zum Nachdenken anregen.“
Und wer ist in diesem Jahr nominiert? Einige exemplarische Beispiele, aus 28 möglichen: 2020 konnte Esra Karakaya bereits einen Grimme Online Award gewinnen, sie ist in diesem Jahr erneut nominiert mit ihrem TikTok Kanal „Karakaya Talks“ in der Kategorie Information. Unterstützt wird sie durch ein divers besetztes Team, welches vielfach Themen aufgreift, die in traditionell besetzten Redaktionen schnell übersehen werden und bereitet sie zielgruppen- und plattformgerecht auf.
Für viel Aufsehen sorgten im vergangenen Jahr bereits die mehrfach Grimme-Preis-nominierten und -prämierten TV-Entertainer Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, als sie ihre Instagram-Kanäle an die Iran-Aktivistinnen Azam Jangravi und Sarah Ramani übertrugen, um auf deren Kampf für Frauenrechte aufmerksam zu machen – unbedingt nachahmenswert für andere reichweitenstarke Persönlichkeiten, findet die Nominierungskommission und zeichnet diese innovative Aktion mit einer Nominierung in der Kategorie Spezial aus.
Nicht nur innovativ, sondern auch inklusiv sind zahlreiche eingereichte Medienprojekte, bei „denen Menschen mit Behinderung über Themen berichten, die sie besonders betreffen, und diese so allen zugänglich machen“, freut sich die Nominierungskommission. Dazu zählen etwa das österreichische Angebot „andererseits“ oder auch der Instagram-Kanal „Hand drauf“ des WDR für das ARD-Jugendangebot funk. Woche für Woche werden bei „Hand drauf“ spannende Themen und relevante Infos für die Gehörlosen- oder -beinträchtigen-Community aufbereitet - alles in deutscher Gebärdensprache und von Gebärden-Muttersprachler*innen, aber zugänglich für alle. Beide sind nominiert in der Kategorie Kultur und Unterhaltung.
Um einen anderen Zugang geht es auch beim interaktiven Netzangebot „Keeping Memories“ der Gedenkstätte Flossenbürg, die an Hand verschiedener Biografien ehemaliger Gefangener des Lagerkomplexes Flossenbürg die Möglichkeit eröffnet, interessengeleitet die Lebensgeschichten dieser Menschen mit Hilfe unterschiedlicher Quellen – videografierte Interviews, Fotos, Dokumente, Zeichnungen, Briefe sowie Zeitungsartikel – kennen zu lernen. Angebote wie diese erscheinen wichtiger denn je, denn Zeitzeug*innen gibt es immer weniger, während Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit grassieren.
Und die Podcasts? Das Medium war, wie in den vergangenen Jahren, stark unter den Einreichungen vertreten, stellt am Ende 7 von 28 Nominierungen und ist „wieder einmal inhaltlich wie in der Art der Produktion herausragend“, so die Nominierungskommission. Dabei setze sich der Trend zu immer ausgefeilterem Storytelling über sechs bis acht Folgen fort, wie etwa beim Podcast der Süddeutschen Zeitung „Who the f*** is Alice?“, der sich kritisch mit der feministischen Ikone Alice Schwarzer auseinandersetzt – mittlerweile 80-jährig und teils hoch umstritten. Dabei müssen es nicht immer ‚die Großen‘ sein: „Mit relevanten und gut recherchierten Inhalten können sich aber auch weniger aufwändig produzierte Audio-Projekte durchsetzen, insbesondere, wenn sie ihr Thema kontinuierlich verfolgen“, so die Nominierungskommission in ihrem Statement, die sich einig ist, dass „Podcasts auch in den nächsten Jahren eine zentrale Rolle in der Online-Publizistik spielen werden“.