Wir kommen im ersten Absatz nicht ohne das C-Wort aus: Die Coronavirus-Ausnahmesituation hat sich auch in der Nominierungskommission bemerkbar gemacht. Statt des vorgesehenen Grübelns und Streitens im selben Raum musste eine Videokonferenz genügen. Weniger anstrengend war es sicher nicht, zwei ganze Tage in einer Videokonferenz zu sitzen. Und, um direkt zu Beginn zu spoilern: Das Thema findet sich auch in der Auswahl der nominierten Angebote.
Auch in diesem Jahr waren Podcasts wieder reichlich im Wettbewerb vertreten. Die Mitglieder der Nominierungskommission konnten im Prinzip keinen Schritt mehr tun, ohne dabei einen Podcast zu hören. Toll ist, dass auch viele interessante wie aufwendige Privatproduktionen zu hören waren. Allerdings bleibt in der Podcast-Welt noch Spielraum für neue, spannende Konzepte. Und Achtung: Gemeint sind damit weder True-Crime-, noch uninspirierte Talkformate. Auch hier gilt die alte Internetbauernregel: Nur weil im Internet viel Platz ist, muss es nicht unbedingt jeder machen.
Reichlich diskutiert haben wir – trotz der außergewöhnlichen Sitzungssituation: Beispielsweise darüber, wie gut ein Angebot zugänglich sein muss, um in die engere Auswahl zu kommen. Aber auch Interaktionsmöglichkeiten, Community und Darstellungsform wurden viel besprochen. Das lag daran, dass das Niveau der Einreichungen in diesem Jahr insgesamt sehr hoch war. Erfreulicherweise gab es auch im Feld der Kinder- und Jugendangebote nach dem Dürrejahr 2019 einige wunderbare Projekte, die teilweise jedoch noch die vorhandenen technischen Möglichkeiten ausnutzen und außergewöhnlichere Narrative finden müssen.
Im vergangenen Jahr durfte die Nominierungskommission dank vieler Angebote in die Geschichte des Steinkohlebergbaus eintauchen. In diesem Jahr stehen DDR-Geschichte und die Wende im Mittelpunkt. Und zwar auf unterschiedlichen Erzählweisen, sowohl fiktiv als auch historisch, und auf unterschiedlichen Plattformen: auf Instagram, Whatsapp oder in der Webreportage. Die Schwerpunkte waren zudem erfreulicherweise alles andere als einseitig gesetzt: Die Angebote beleuchteten die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Treuhand, beschäftigten sich mit der Geschichte und Perspektiven der ehemaligen Vertragsarbeiter*innen in der DDR, aber auch mit persönlichen und interaktiv erzählten Geschichten zum Mauerfall.
Wichtig und richtig ist es, dass einige Angebote sich darauf konzentrieren, Geschichte und Zeitgeschichte zu vermitteln. Die Nominierungskommission achtete dabei nicht nur auf innovative Vermittlungsformen oder Spielereien. Oft setzen sich Angebote durch, die die Zugänglichkeit eines Webangebots nutzen, um Quellen, Protokolle und Zeitzeugenberichte in einem Onlinearchiv zusammenzubinden, zu ordnen und für die Nachwelt zugänglich zu machen.
Für eine Nominierung sind auch jene geeignet, die ihre Plattform über deren gängigen Tellerrand hinaus nutzen. Das ist Rezo mit seiner „Zerstörung der CDU“ gelungen. Obwohl die Recherchearbeit für sein Video selbst schon bemerkenswert ist, ist es doch nicht das, wofür die Nominierungskommission ihn nominiert hat. Vielmehr hat er – als Einzelperson – bewiesen, dass auch über eine Unterhaltungsplattform wie YouTube eine inhaltliche Auseinandersetzung mit politischen Inhalten möglich ist – und sich so auch Debatten anstoßen lassen. Für diesen Impact, für die Wirkung und Konsequenzen seiner Recherche zählt die Nominierungskommission seinen Beitrag zu denen, die das vergangene Jahr publizistisch geprägt haben. Und vielleicht fasst sich Philipp Amthor ja 2020 doch noch mal ein Herz.
Falls jemand eine TikTok-Nominierung vermisst: Es ist in diesem Jahr noch nicht soweit. Sorry Jan Hofer, wir haben trotzdem gelacht! Auch wenn TikTok in Sachen Meinungsfreiheit und Datenschutz umstritten ist: Die Plattform bietet spannende Ansätze, die in Deutschland allerdings bisher für publizistische Zwecke noch nicht ausreichend genutzt werden.
Dafür haben wir einige tolle Instagram-Projekte gesehen und in den Kreis der Favoriten aufgenommen. Die Qualität des Storytellings dort hat sich verbessert, auch die Möglichkeiten der Plattform werden vielfach voll ausgeschöpft. Um für eine Nominierung in Frage zu kommen, müssen allerdings hohe Ansprüche erfüllt werden: Qualität und Aufbereitung müssen den Nachteil ausgleichen, dass zum Beispiel die Storyfunktion ohne eine Anmeldung bei Instagram nicht genutzt werden kann. Gerade dieser Punkt hat in der Nominierungskommission zu heftigen Diskussionen geführt. Unbedingt wünschenswert wäre aus Sicht der Nominierungskommission, dass gerade öffentlich-rechtliche Sender die Inhalte, die sie auf Fremdplattformen veröffentlichen, auch auf den eigenen Seiten spiegeln.
An beeindruckenden datenjournalistischen Angeboten im Wettbewerb mangelte es auch in diesem Jahr wieder nicht. Zumindest in Teilen der Nominierungskommission gab es allerdings reichlich Unverständnis dahingehend, dass die meisten Projekte zwar schon seit Monaten existierten, im Netz aber kaum rezipiert wurden. Offensichtlich mangelt es an diesem Ende noch an Vermarktungsstrategien. Was auch in der Nominierungskommission diskutiert wurde: Warum wurden die Recherchen der datenjournalistischen Teams in den Redaktionen nicht als Ausgangspunkt für weitere Reportagen genutzt? Warum wurden Geschichten und Konflikte, die sich in den Datengeschichten angedeutet haben, nicht in anknüpfenden erzählerischen Formaten weitererzählt? Die Frage nach einer stärkeren Vernetzung und ganzheitlichem Denken muss erlaubt sein.
Und das Fazit? Bemerkenswert ist das Themenspektrum, das die eingereichten Angebote dieses Jahr abdecken. Begeistert war die Nominierungskommission darüber, dass viele Webangebote unterschiedliche gesellschaftliche Perspektiven auf Geschichte und Zeitgeschichte einnehmen und abdecken. Luft nach oben ist bei der Ausnutzung der Webspezifika und der Darstellungsformen wie auch bei der Einbindung der Nutzer in die Angebote. Beim Punkt Innovation reichte der Kommission nicht nur die Nutzung von innovativen Technologien und neuen Erzählformen – zu oft waren diese nur Spielerei und schlecht in die Erzählung eingebunden. Aber: Neben allen herausragenden Angeboten, die wir in diesem Jahr gesehen und nominiert haben, blicken wir auch positiv in das kommende Jahr. Denn selten zuvor hat die Nominierungskommission so viele noch nicht ganz ausgereifte Angebote zurückgestellt, um ihnen im nächsten Wettbewerbsjahr eine Chance zu geben.