Corona-Ticker, Corona-Dashboards, Corona-Podcasts, Corona-Grafiken, Corona-Erklärvideos: Seit mehr als einem Jahr dominiert die Pandemie nicht nur unseren Alltag, sondern auch das Netz. Überregionale wie regionale, beitrags- wie privatfinanzierte Medien berichten unermüdlich über Infektionszahlen, Impfstoffe, Spätfolgen, Virolog*innen, Demonstrationen, Hoffnung und Leid. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass unter den spannenden, informativen, unterhaltsamen, aufklärenden und inspirierenden Einreichungen für den diesjährigen Grimme Online Award etliche Projekte und Beiträge waren, die sich mit Aspekten rund um die Corona-Krise befassen. Die besten unter ihnen haben es auf die Nominiertenliste geschafft, etwa die Website “Corona Leichte Sprache”, der Podcast "Pandemia" oder auch die umfangreichen Corona-Visualisierungen von Zeit Online.
Wichtig waren der Nominierungskommission bei diesen Corona-Themen Hintergründe und Kontext, die bei vielen, aber nicht allen der eingereichten Beiträge geliefert wurden. Ein einfaches Nacherzählen von Gewesenem – auch in hübscher Aufbereitung – fiel gegenüber den innovativen Ansätzen hinten runter.
Für die Nominierungskommission war es das zweite Jahr in Folge, in dem die Diskussion über das Teilnehmerfeld virtuell stattfinden musste. Stunde um Stunde tauschten die Expert*innen ihre Argumente aus und werteten mit Hand und Fuß – bis sie eine Nominierungsliste mit insgesamt 28 Angeboten in 4 Kategorien zusammen hatten. Die Liste bildet thematisch dann doch sehr viel mehr ab als „nur“ Corona. Viele Journalist*innen haben 2020 erst recht ihre Schlaglichter auf Themen geworfen, die auch während einer Pandemie jede Öffentlichkeit verdient haben: etwa Rassismus, Homosexualität oder Antisemitismus. Besonders gefreut hat die Nominierungskommission sich über die mutigen und innovativen Formen der Geschichtsvermittlung – bei der Sperrigkeit mancher Themen eine Herausforderung.
Wie schon im vergangenen Jahr dominierte eine Form des Storytellings das Feld der Einreichungen deutlich: der Podcast. Erneut hörten sich die NomKom-Mitglieder stundenlang Episode um Episode an. Es zeigte sich, dass viele Angebote mittlerweile einen hohen Standard haben – inhaltlich und produktionstechnisch. Die Herausforderung für die Nominierenden war es, das Besondere herauszuhören. Bei der großen Konkurrenz hat vor allem die Beschäftigung mit sehr dunklen Ereignissen aus der jüngeren deutschen Geschichte herausgestochen – zum Beispiel „190220 – Ein Jahr nach Hanau“ oder „Wer hat Burak erschossen?“ Auch der neue Podcast-Anbieter FYEO ist mit zwei Nominierungen zur Zeitgeschichte vertreten: "Affäre Deutschland" beschäftigt sich mit der CDU-Spendenaffäre der 1990er Jahre und "Going to Ibiza" (gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung) mit Korruption und Populismus in Österreich. Leichter, aber auf andere Art ebenso wertvoll kommt das Kinder-Podcast-Quiz „Weißt du’s schon?“ daher. Eine willkommene Abwechslung zu den vielen schweren Themen, die dieses Jahr publizistisch provoziert haben.
Auf sehr positive Resonanz sind außerdem gleich zwei Angebote gestoßen, die in der FreeTech – Axel Springer Academy of Journalism and Technology entstanden sind: Da wären zum einen die „Hong Kong Diaries“, die unter Beweis stellen, welch hohes Niveau die crossmediale Ausbildung im Hause Springer hat. Talentierte Journalist*innen haben für dieses Special das relevante Thema der Proteste in Hongkong bis ins letzte Detail aufgefächert, spannende Aspekte und Protagonist*innen in den Mittelpunkt gestellt und einen performanten Webauftritt publiziert. Da wäre zum anderen das Bewegtbildformat „Jeder Vierte“, das auf kluge und subtile Weise verdeutlicht, wie sich Antisemitismus mitunter unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Witzes versteckt. Nach der Rezeption wird an mancher Stelle vielleicht eine Reflexion in Gang gebracht. Das kann Journalismus!
Diese respektvolle, durchdachte und demokratie-theoretisch wertvolle Herangehensweise an zwei relevante Themen darf gerne als Vorbild genommen werden – auch im Mutterhaus Axel Springer.
In diesem Jahr haben es erstmals auch Formate auf TikTok auf die Liste der nominierten Beiträge geschafft. Es sind jene, bei denen die Macher*innen es besonders gut verstanden haben, die Potenziale des Netzwerks zu nutzen. So gelingt es beispielsweise Niklas Kolorz in der vorgegebenen Minute, abstrakte und sperrige wissenschaftliche Themen knapp herunterzubrechen und sie verständlich und plattformgerecht unterhaltsam an eine große Zielgruppe zu vermitteln. Und das als Einzelkämpfer, ohne große Mannschaft dahinter.
Eine große Mannschaft dahinter hat der TikTok-Kanal der "Tagesschau". Erst recht, seitdem die Redaktion nach den ersten Gehversuchen festgestellt hat, wie gut seriöse Information und „junge“ Umsetzung zusammenpassen können. Gerne mehr davon! Aber bitte authentisch bleiben. Sonst wirkt es wie bei vielen anderen Formaten auf TikTok schnell affektiert und ungewollt lustig.
Als nominierungswürdig befand die Kommission auch den Coup von Enissa Amani: Als Reaktion auf die völlig aus dem Ruder gelaufene WDR-Talksendung „Die letzte Instanz“, in der fünf weiße Menschen auf – nennen wir es mal – „unterirdischem" Niveau über Rassismus debattiert hatten, lud Enissa Amani für „Die beste Instanz" auf ihrem YouTube-Kanal fünf Gäst*innen ein, die wirkliche Expertise für das Thema mitbringen. Diese von ihr selbst finanzierte Sendung war ein Fingerzeig für die etablierten Medien. Möge er Signalkraft haben: Solche Runden brauchen nicht einfach nur bekannte Namen und Gesichter, sondern Know-how und die Sicht der Betroffenen.
Ein anderes – sehr anderes – YouTube-Format hat die Nominierungskommission überrascht: Mit der witzigen und kurzweiligen Show „Dulsberg Late Night“ sorgte Schulleiter Björn Lengwenus bei seinen Schüler*innen unter Beteiligung derselben für Abwechslung und Zusammengehörigkeitsgefühl im Homeschooling-Alltag. Seine kreativen Shows fanden nicht nur unter den Schüler*innen Fans. Auch die Mitglieder der Nominierungskommission waren begeistert – und hätten sich gewünscht, auch so einen coolen, innovativen Schuldirektor gehabt zu haben.
Fürs nächste Jahr wünschen sich die Nominierenden noch weniger Konventionelles, dafür mehr echte Innovation, weiterhin große Schlaglichter auf gesellschaftlich relevante Themen und viele Angebote, die inspirieren.